Scroll down for the English version
-de-
OFFENER BRIEF AN DAS MÜNCHNER KULTURREFERAT
Aus Anlass des Symposiums „Kunst im öffentlichen Raum“, vom 31. Januar – 1. Februar 2020 von Public Art Munich und dem NS-Dokuzentrum im Literaturhaus
Sehr geehrte Damen und Herren,
Hier schreibt Ihnen Dear All, ein offenes Kollektiv, das gegen institutionellen Rassismus im Kulturbetrieb eintritt.
Wir begrüßen die Initiative des Kulturreferats, in Zusammenarbeit mit dem NS-Dokuzentrum eine zweitägige Diskussionsveranstaltung zu kollektivem Gedächtnis und kulturellen Erinnerungsformen auszurichten. In der Tat ist es mehr als notwendig, wie es im Ankündigungstext heißt, „in einer Stadt wie München, die sich im konstanten Wandel befindet, in der Raum knapp und umkämpft ist und in der private sowie wirtschaftliche Interessen, aber auch zivilgesellschaftliches Engagement und politisches Engagement zunehmend im Stadtraum manifestieren“, dringende Fragen zu stellen:
„Wem gehören die Räume der Stadt? Wie verändern sie sich und wer entscheidet über ihre Nutzung? Wie verhält es sich mit der vielzitierten Behauptung, Kunst in der Öffentlichkeit sei per se demokratisch, sogar politisch? Wer spricht dann, und für wen?“
Das alles beschäftigt uns auch. Um so mehr sind wir darüber erstaunt, wer sich tatsächlich auf dem Symposium zu den im Ankündigungstext angesprochenen Themen äußern wird. Auf den ersten Blick liest sich die Liste der eingeladenen Redner*innen und Panelist*innen avanciert. Es sind Expert*innen aus aller Welt, aus Deutschland und aus München vertreten, an deren Kompetenz und auch Integrität nicht der leiseste Zweifel bestehen kann.
Uns fällt es jedoch auf, dass keines der angekündigten Panels die Diversität Münchens als eine postmigrantische, postkoloniale und queere Gesellschaft abbildet. Die internationale und kosmopolitische Zusammensetzung des Symposiums kann über diesen Mangel nicht hinwegtäuschen.
Sicher, solche Defizite sind im Kulturbetrieb eine Normalität, an der üblicherweise kaum jemand Anstoß nimmt. Gerade weil aber das Symposium den Bezug zur lokalen Situation in München so dezidiert in den Mittelpunkt seiner Ankündigungspolitik rückt, können wir darüber nicht hinwegsehen.
Sicher, solche Defizite sind im Kulturbetrieb eine Normalität, an der üblicherweise kaum jemand Anstoß nimmt. Gerade weil aber das Symposium den Bezug zur lokalen Situation in München so dezidiert in den Mittelpunkt seiner Ankündigungspolitik rückt, können wir darüber nicht hinwegsehen.
Die Stadt München, und mit ihr das Kulturreferat, wurde jahrelang von engagierten Bürger*innen und Initiativen, in der letzten Zeit auch von progressiven Kräften innerhalb der städtischen Kulturinstitutionen für Fragen nach einer Erinnerungskultur aus (post-)migrantischer, postkolonialer und queerer Perspektive sensibilisiert.
Niemand Geringeres als der vor wenigen Monaten aus dem Amt geschiedene Kulturreferent der Stadt München, Dr. Hans-Georg Küppers, hat sich diese Forderungen zu eigen gemacht und bei öffentlichen Anlässen mehrfach angemahnt, dass die vielfältige Zusammensetzung der Bevölkerung in der Landeshauptstadt weder im lokalen Kulturleben noch in den Institutionen angemessen repräsentiert ist.
Müssen wir nun noch einmal daran erinnern, dass 43,2 Prozent der in München lebenden Menschen über einen sogenannten „Migrationshintergrund“ verfügen, dass der Anteil sogenannter „Ausländer“ bei 28,3 Prozent liegt, und dass die Landeshauptstadt mit dieser Bevölkerungsstruktur im Ranking der Metropolen in Deutschland an dritter Stelle liegt, weit vor Bundeshauptstadt? Diese Bürger*innen haben ein Anrecht darauf, sich im kulturellen Angebot Münchens gespiegelt zu sehen und daran beteiligt zu sein!
Müssen wir nun noch einmal daran erinnern, dass 43,2 Prozent der in München lebenden Menschen über einen sogenannten „Migrationshintergrund“ verfügen, dass der Anteil sogenannter „Ausländer“ bei 28,3 Prozent liegt, und dass die Landeshauptstadt mit dieser Bevölkerungsstruktur im Ranking der Metropolen in Deutschland an dritter Stelle liegt, weit vor Bundeshauptstadt? Diese Bürger*innen haben ein Anrecht darauf, sich im kulturellen Angebot Münchens gespiegelt zu sehen und daran beteiligt zu sein!
Im Interkulturellen Integrationsbericht der Landeshauptstadt München aus dem Jahr 2017 heißt es zu zur Tätigkeit und zu den Zielen des Kulturreferats:
– „Verschiedene Einrichtungen und Abteilungen arbeiten hier seit Jahren erfolgreich daran, Partizipation von Menschen mit Migrationshintergrund am kulturellen Leben zu ermöglichen bzw. zu steigern.“
– „Ziel ist es, die migrantische Perspektive im Akteursfeld der kulturellen Bildung stärker zu verankern.“
– „Sensibilisierungsmaßnahmen zu Themen wie Diskriminierung und Rassismus spielen bei Fortbildungen für das Akteursfeld der kulturellen Bildung eine wichtige Rolle.“
Gerade vor dem Hintergrund der Tatsache, dass das Kulturreferat der Stadt München die interkulturelle Arbeit auf geradezu vorbildliche Weise als eines seiner zentralen Ziele benennt und wir in dieser Behörde zahlreiche Mitarbeiter*innen kennenlernen durften, denen diese Agenda spürbar am Herzen liegt, müssen wir feststellen, dass mit dem Symposium „Public Art – City. Politics: Memory“ eine Chance vertan wird.
Warum bietet die Veranstaltung keine Gegenstrukturen an? Warum stellt sie keine größeren Zusammenhänge her, in der konkretes Unbehagen mit der Erinnerungskultur sich artikulieren kann? Gerade ein so kosmopolitisch besetztes Symposium hätte hierfür einen Auftakt bilden können, das in eine vertiefende lokaler Arbeit mündet.
Internationalität ist eben nicht gleichbedeutend mit gelebter und vor Ort in den Kultureinrichtungen verankerter Diversität!
Ganz streng ausgedrückt
Es regt sich der Verdacht, dass die Initiator*innen des Symposiums den eigenen blinden Fleck – nämlich institutionalisierten Rassismus – in Form eines kosmopolitisch besetzten Symposiums als Best-Practice-Modell vermarkten und damit in einen Wettbewerb der Kulturhauptstädte einzutreten gedenken.
Wir wünschen uns, dass sich die von der Stadt München betriebene Kulturpolitik aus den eigenen Routinen herauswagt und in eine öffentliche Debatte begibt.
Es muss ein umgreifender Prozess einsetzen, der die Strukturen des institutionellen Rassismus erkennt und zu behebt – auf nachvollziehbare und überprüfbare Weise.
In einem Satz
Wir fordern eine Kulturpolitik, die der post-migrantischen, postkolonialen und queeren Gesellschaft Rechnung trägt!
Mit freundlichen Grüßen,
Dear All
-en-
OPEN LETTER TO MUNICH’S DEPARTMENT OF ARTS AND CULTURE
On occasion of the symposium “Public Art – City. Politics: Memory” from January 31 to February 1 by Public Art Munich and the NS-Dokuzentrum in the Literaturhaus
Dear Sirs and Madams,
This is Dear All writing to you, an open collective standing up against institutional racism in the cultural sector.
We welcome the initiative of the Department of Arts and Culture to host a two-day discussion event on collective memory and cultural forms of remembrance together with the NS Documentation Center. It is indeed more than necessary, as stated in the announcement text, to raise urgent questions, to raise urgent questions “in a city like Munich, which is constantly changing, where space is scarce and contested, and where both private and economic interests but also civic and political involvement increasingly manifest themselves in the urban space”:
We welcome the initiative of the Department of Arts and Culture to host a two-day discussion event on collective memory and cultural forms of remembrance together with the NS Documentation Center. It is indeed more than necessary, as stated in the announcement text, to raise urgent questions, to raise urgent questions “in a city like Munich, which is constantly changing, where space is scarce and contested, and where both private and economic interests but also civic and political involvement increasingly manifest themselves in the urban space”:
“Who owns the spaces of the city and how do they change?
What about
the oft-quoted claim that public art is per se democratic, even political? And if it’s true, who speaks and for whom?”
What about
the oft-quoted claim that public art is per se democratic, even political? And if it’s true, who speaks and for whom?”
All this is something that preoccupies us, as well. We are therefore all the more surprised at who will actually be speaking at the symposium on the issues mentioned in the announcement text. At first sight, the list of invited speakers and panelists appears advanced, with experts from around the world, from Germany and Munich, whose competence and integrity are certainly beyond doubt.
What we do find striking, however, is that none of the announced panels reflect the diversity of Munich as a postmigrant, postcolonial and queer society. The international and cosmopolitan makeup of the symposium cannot hide this deficiency.
Such deficits are certainly a normal state of affairs in the cultural sector and rarely bother people. But precisely because the symposium decidedly focuses on the relation to the local situation in the announcement text, this is something we cannot overlook.
Such deficits are certainly a normal state of affairs in the cultural sector and rarely bother people. But precisely because the symposium decidedly focuses on the relation to the local situation in the announcement text, this is something we cannot overlook.
For years, the city of Munich, and with it the Department of Arts and Culture, has been sensitized to issues related to a remembrance culture from a (post-)migrant, postcolonial and queer perspective by committed citizens and initiatives and recently also by progressive forces within the city’s cultural institutions.
No less a person than Dr. Hans-Georg Küppers, the director of Munich’s Department of Arts and Culture until a few moths ago, advocated these demands and on public occasions repeatedly pointed out that the diverse composition of the population in the state capital is not appropriately represented in local cultural life and the institutions.
Do we really have to again call to mind that 43.2% of the people living in Munich have a so-called “migration background”; that the proportion of so-called “foreigners” is 28.3%; and that the state capital is third in terms of this population structure in the ranking of German metropolises, even far ahead of the nation’s capital? These citizens have a right to be reflected by and participate in Munich’s cultural offer!
Do we really have to again call to mind that 43.2% of the people living in Munich have a so-called “migration background”; that the proportion of so-called “foreigners” is 28.3%; and that the state capital is third in terms of this population structure in the ranking of German metropolises, even far ahead of the nation’s capital? These citizens have a right to be reflected by and participate in Munich’s cultural offer!
In the Intercultural Integration Report of the state capital of Munich from 2017, the activities and objectives of the Department of Arts and Culture are describes as follows:
– “Various institutions and departments have been working successfully for years on enabling and enhancing the participation of people with a migration background in cultural life.”
– “The aim is to anchor the migrant perspective more strongly in the field of action of cultural education.”
– “Sensitization measures regarding issues such as discrimination and racism play an important role in further training for the field of action of cultural education.”
Especially in view of the fact that Munich’s Department of Arts and Culture all but exemplarily states that intercultural work is one of its key goals and also because we have had the pleasure of getting to know numerous staff members of the department who are appreciably committed to this agenda, we must say that with the symposium “Public Art – City. Politics: Memory” an opportunity has been missed.
Why doesn’t the event offer any counter-structures? Why doesn’t it present larger contexts in which the specific discontent with remembrance culture can be articulated? A symposium with cosmopolitan speakers and panelists could have marked the start of such an endeavor which could have resulted in local work dealing with these issues in greater depth.
Internationality is not tantamount to lived diversity anchored in the local cultural institutions!
To phrase it harshly
There is a suspicion that the initiators of the symposium are marketing their own blind spot – namely, institutionalized racism – in the form of a symposium with cosmopolitan speakers and panelists as a best-practice model with the aim of entering into a competition of cultural capitals.
We wish that the cultural policies pursued by the city of Munich would venture out of their own routines and enter into a public debate.
A comprehensive process must commence that acknowledges and redresses the structures of institutional racism – in a transparent and verifiable manner.
In short
We demand cultural policies that do justice to the postmigrant, postcolonial and queer society!
Best regards,
Dear All